Bürger*rat Belgien
"In dieser Form sind wir die ersten in der Welt.“
— Ministerpräsident von Eupen, Oliver Paasch
Belgiens Hauptstadt Brüssel ist Europas Aushängeschild für repräsentative Demokratie. Die Deutschsprachige Gemeinschaft drehte den Spieß um. Warum können nicht einfach ganz normale Bürger* ihre eigenen Gesetze beschließen und mit dem Parlament kooperieren?
Der Selbstversuch mündete in einen Bürger*rat – und den Versuch, den Demokratiegedanken jeder*s Bürgers* zu stärken.
Aktive Politik bedeutet Mitbestimmung
Eupen ist eine kleine Stadt in Belgien, zirka 20 Kilometer entfernt von Aachen. Die Mehrheit der Bewohner* ist deutschsprachig, was Eupen zu dem Verwaltungssitz der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) macht. Die DG ist die kleinste der drei politischen Gemeinschaften Belgiens, und vermutlich auch der kleinste Teilstaat Europas. Die Größe steht hier aber in keinerlei Relation zu deren politischer Partizipation. Denn Die DG fasste einen Entschluss – Bürger* sollten aktiv an Politik beteiligt werden. Ihnen soll ein Mitspracherecht gewährt werden und eine Bürger*plattform, um für Ideen und Kritik einen Raum zu schaffen. Darum beschlossen die Parteien im DG-Parlament, am 1.September 2019 einen Bürger*dialog mit anschließendem Bürger*rat zu initiieren. Ministerpräsident Oliver Paasch verkündete stolz: „in dieser Form sind wir die ersten in der Welt.“ Auch die Aachner Zeitung erregt mit ihrem Leitartikel „Ostbelgien möchte Geschichte schreiben“ internationales Aufsehen. Doch was steckt genau hinter dem Experiment „Bürger*dialog“?
G1000 - Bürger* sind Partner* in politischen Entscheidungen
Der Bürger*rat der DG kommt jedoch nicht von irgendwo. Urheber dieser Initiative ist die Bürger-Partizipations-Initiative G1000, gegründet von der DG. Der G1000 ist eine Plattform für demokratische Erneuerung. Eine Denkwerkstatt, die die Demokratie durch aktive Miteinbindung der Bürger* verstärken soll. Zunächst werden lokale Strukturen dafür aufgebaut und im Idealfall eine internationale Reichweite erlangt. Der Leitspruch der Plattform ist: "Wir denken, dass eine moderne Demokratie einfachen Bürger·innen mehr Platz einräumen muss."
Der G1000 hat den belgischen Bürger*rat zusammen mit lokalen und internationalen Expert*en durchdacht und wird den aktuellen Prozess in Eupen in den kommenden Jahren begleiten.
Ausgeloste Bürger* machen die Politik von morgen
Bei einem Bürger*rat braucht man zunächst Bürger*, die sich zusammenfinden, um im Gremium Vorschläge und Themen zu diskutieren. Dabei ist es wichtig, dass die Gruppe dieser Volksvertreter* möglich vielfältig ist, um alle Schichten der Gesellschaft widerzuspiegeln. Hierbei soll auch insbesondere Randgruppen und jüngeren Bürger*n die Chance gegeben werden, mitzureden. Um eine möglichst objektive Auswahl zu treffen, wird per Losverfahren entschieden, wer an dem Bürger*rat teilnehmen kann. So fanden sich Anfang September 2019 Gruppen unterschiedlichster Umstände zusammen, um gemeinsam Politik zu machen. Unter dem Experiment „Bürger*dialog“ werden diese Bürger* nun eine Handlungsempfehlung zu verschiedenen politischen Themen erarbeiten, die dann dem Parlament überreicht wird.
Legt Belgien einen neuen Meilenstein der Demokratie?
Belgien ist damit ein weiteres Land, das geloste Bürger*räte als wertvolles Instrument informierter und verantwortungsvoller Bürger*beteiligung nutzt. Bereits in Irland wurde bei den Themen Homosexualität oder Abtreibung bewiesen, dass ein Bürger*rat eine erfolgreiche Methode ist, um Bürger* besser in demokratische Abläufe zu miteinzubeziehen. In diesen Bürger*räten wurde jedoch bereits ein konkretes Diskussionsthema vorgegeben. Die Besonderheit des Experiments „Bürger*dialog“ in Eupen ist jedoch, dass die jeweiligen Bürger* verschiedene Themen aufgreifen werden, die frei von ihnen gewählt werden und dem alltäglichen politischen Diskurs entsprechen. Laut Ministerpräsident Paasch ist es wichtig „die Vorschläge und Beschlüsse der Bürger* ernst zu nehmen.“ So wurde am 25. Februar 2019 ein „Dekret zur Einführung eines permanenten Bürger*dialogs“ durchgewinkt, um einen Bürger*rat, oder wie in diesem Fall „Bürger*dialog“, als einen dauerhaften Bestandteil der belgischen Demokratie zu integrieren. Dieser Erlass ebnete den Weg für dieses Experiment, das vermutlich dauerhaft Fuß fassen wird. Denn die DG gibt den Bürger*n endlich ein direktes Mitspracherecht in der belgischen Politik. Wahrhaftig ein Meilenstein also, der letzten Monat in Belgien gerollt wurde.
Jede*r kann mitmachen
Belgien ist ein weiteres erfolgreiches Beispiel für einen Bürger*rat, der Menschen aktiv an Politik teilhaben lässt, ihnen ein Stimmrecht gibt und den Demokratiegedanken sowie zivile politische Beteiligung stärkt. Lasst uns versuchen, die Idee geloster Bürger*räte auch in Deutschland voranzutreiben! Unsere Initiative Es geht LOS! ist eine Möglichkeit der Beteiligung, des Austausches und des aktiven Wirkens. Wir möchten ein gelostes Diskussionsforum schaffen, damit die Stimme der Bürger* wieder eine Position in der Bundespolitik einnimmt. Unser Ziel ist die Organisation und Durchführung des ersten ausgelosten Bürgerrats mit 100 Beteiligten auf Bundesebene. Das Ergebnis wird dem Deutschen Bundestag als Handlungsempfehlung unterbreitet.