Geloste Hochschul-Agora an der Hochschule Ruhr-West
Die Hochschul-Agora – geloste Beteiligung an der Hochschule
Hochschulen und Universitäten sind identitäts- und zukunftsstiftend für viele junge Menschen auf dem Weg von der Schule in die Arbeitswelt. Üblicherweise kommen die Studierende in bestehende Strukturen, in denen sie sich lernen zu orientieren. Die Gruppe derjenigen, die diese Strukturen maßgeblich formt, ist meist relativ klein und homogen. Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse werden daher selten durch die Diversität an Lebensrealtiäten und Sichtweisen, die an Hochschulen und Universitäten zu finden ist, bereichert.
Das Los kann hier helfen.
Gemeinsam mit der Hochschule Ruhr-West haben wir ein Experiment gewagt – und sind erstaunt über die vielfältigen positiven Einflüsse und Ergebnisse, die dieser Prozess auf die Menschen an der Hochschule hatte.
Tausende Menschen, hunderte Sichtweisen, ein gemeinsamer Lernort
Der Prozess startete mit der Frage: Wie soll Lernen und Lehren an der Hochschule Ruhr-West langfristig gestaltet sein, damit wir inklusiv, innovativ, divers und dynamisch die Zukunft nicht nur anvisieren, sondern aktiv mitgestalten?
Das Präsidium war von der Idee des Auslosens sichtlich überzeugt: "Unsere Vision mit gelosten Teilnehmenden zu erarbeiten, erlaubt uns, Diversität und Inklusion bereits in den Prozess selbst einfließen zu lassen. So können wir aus dem vielfältigen Erfahrungsspektrum von Lehrenden und Lernenden kreative Ideen schöpfen und in einem konstruktiven Austausch gemeinsam unserer Hochschule zu einem neuen Glanz verhelfen."
Der Prozess "Zukunft Lehre und Lernen an der Hochschule Ruhr-West"
Schritt 1: Befragung der Expert:innen an der Hochschule
Da es an der Hochschule Expert:innen gibt, die sich mit den Fragen rund um Lehre und Lernen bereits intensiv auseinandersetzen, haben wir in einem ersten Schritt gemeinsam mit ihnen die Themenfelder erarbeitet, an denen der Workshop mit den gelosten Teilnehmenden sich orientieren soll.
Das waren die Themenfelder "Beziehung und Kommunikation", "Kompetenzen", "Ankommen an der Hochschule von Lehrenden und Lernenden", "Qualität der Lehre sicherstellen", "Lernen lernen", "Physischer Ort HRW" sowie "Kiritsches Denken und Reflexion".
Schritt 2: 10 Mini-Workshops mit gelosten Teilnehmenden
Anschließend loste die Hochschule aus allen Lernenden und Lehrenden aller Ebenen und Bereiche Teilnehmende aus und lud sie ein.
In zehn Workshops haben wir mit je fünf Studierenden und fünf Lehrenden gemeinsam über die Vision der Hochschule gesprochen. Dabei kamen viele unterschiedliche Perspektiven zusammen: von Professor:innen, die schon jahrelang an der Hochschule lehren über Lehrende, die erst kürzlich begonnen haben bis hin zu Studierenden, die während der Covid19-Pandemie ihr Studium begonnen haben und in einem Jahr nur einmal am Campus waren. Damit auch Interessierte teilnehmen können, haben wir zwei Workshops für alle Mitarbeitenden und Studierenden der Hochschule geöffnet und nach gleichem Prinzip Visionen erarbeitet. Es entstanden neben größeren Visionen auch viele spannende konkrete Vorschläge für Veränderungen.
Schritt 3: Thematische Workshops
Nach den Workshops wurden die Ergebnisse den Expert:innen und der Hochschulöffentlichkeit präsentiert.
Daran anschließend wurden thematische Workshops zu den insgesamt sieben identitifizierten Themenfeldern durchgeführt. Dabei waren ausgeloste Teilnehmende der ersten Runde sowie die Expert:innen, die an der Hochschule an eben diesen Prozessen arbeiten. Begleitet wurden diese Workshops von einer Graphic Recorderin, die das, was gesagt wurde, mitgezeichnet hat. Dadurch entstanden sieben Visionsplakate, die der Hochschule für ihre Arbeit an ihrer Zukunft dienen.
Was haben wir gelernt?
Gerade an Hochschulen kommen Menschen aus so verschiedenen Lebensrealitäten zusammen und können die Frage danach, was eine gute Hochschule, gutes Lernen und Lehren ausmacht, durch ihre vielfältigen Perspektiven bereichern.
Durch das Losverfahren haben sich mehr Menschen beteiligt, die sich sonst nicht eingebracht hätten. Viele Studierende betonten, sie hätten bei einem allgemeinen Aufruf zur Teilnahme vermutlich nicht reagiert. Das Gefühl, dass das Los auf sie gefallen war, sowie die persönliche Ansprache durch das Präsidium haben sie zur Teilnahme bewogen.
"Die Rückmeldungen der Teilnehmenden zum Prozess und Format der Beteiligung war ausgesprochen positiv. Als besonders gewinnbringend wurde der offene Austausch auf Augenhöhe zwischen unterschiedlichen Statusgruppen und Hierarchieebenen genannt", so das Präsidium.
Besonders freut uns, dass einige teilnehmende Studierende sich nun sehr aktiv in den Gremien der Hochschule Ruhr-West ehrenamtlich engagieren. Sie haben gelernt, dass sie Einfluss nehmen und die Strukturen und Prozesse mitbestimmen können.
Ein positiver Nebeneffekt war, dass verschiedene Fachbereiche und Studierende miteinander ins Gespräch kamen. So hatten manche bereits Lösungen für Probleme gefunden, die andere auch beschäftigen und konnten diese Ansätze teilen. Außerdem wurde auch deutlich, dass Informationen über spezifische Angebote an der Hochschule noch besser kommuniziert werden können. Viele haben im Prozess selbst erst gelernt, wie viel die Hochschule schon tut und was es bereits für innovative und bedarfsgerechte Lösungen gibt. Diese beiden Transfer-Geschehen sind auch aus politischen Beteiligungsverfahren bekannt.
Wie geht es weiter?
Für die Hochschule Ruhr-West steht fest: Sie nimmt sich vor, "systematisch losbasierte Beteiligungsverfahren zu initiieren und bei der Weiterentwicklung zentraler Hochschulthemen auf den Input geloster Gruppen zu setzen."
Andere Hochschulen und Universitäten können sich an diesem Beispiel orientieren, selbst geloste Beteiligung ausprobieren und so den konstruktiven Austausch der verschiedenen Menschen und Sichtweisen fördern. Dadurch kann Lehren und Lernen über die Studieninhalte hinaus einen bedeutenden Beitrag für das gesellschaftliche Miteinander leisten.
Ein kleiner Einblick auf S. 62