Von Leuchttürmen zu Lichterketten
Abschlussveranstaltung „Gemeinsam Demokratie gestalten: Bürgerräte in Ost und West“
25. Juni 2022
Das Projekt “Gemeinsam Zukunft aufsuchen - Brandis und Tengen gehen LOS” hat seinen feierlichen Abschluss gefunden. Vor gut 60 Anwesenden haben wir unsere Erfahrungen vorgestellt und mit einem hochkarätig besetzten Podium diskutiert. Rita Schwarzelühr-Sutter (Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin des Innern und für Heimat) und Paulina Fröhlich (Head of Democracy von Das Progressive Zentrum) haben sich mit den am Projekt beteiligten Bürgermeistern Arno Jesse (Brandis) und Marian Schreier (Tengen) sowie Ilan Siebert von Es geht LOS der Frage nach Potenzialen und Herausforderungen sowie den politischen Bedingungen für funktionierende losbasierte Bürgerbeteiligung gewidmet.
In ihrem Grußwortwort ordnete Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter zu Beginn partizipative Prozesse sowie das konkrete Projekt in den aktuellen politischen Kontext ein, in dem sich die Ampel-Koalition zum offenen Regierungshandeln verpflichtet hat: „Beteiligung – das ist ein roter Faden unseres Koalitionsvertrags und dabei geht es auch (...) ausdrücklich um die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in der kommunalen Selbstverwaltung. Tengen und Brandis bringen damit direkt Leben in diesen Koalitionsvertrag, nämlich vor Ort.“
Den inhaltlichen Bogen zum Projekt schlug Projektkoordinatorin Leonie Disselkamp von Es geht LOS, die nach einer kurzen Projektpräsentation auf zentrale Erkenntnisse des Evaluationsberichts anhand dreier Wirkversprechen geloster Bürgerräte einging: Geloste Beteiligung sei inklusiver als offene Formate, da sie eine höhere Diversität in der Zusammensetzung der Teilnehmenden schafft. Dies schlage sich in einer sehr konstruktiven Diskussionsatmosphäre nieder, die von gegenseitiger Wertschätzung geprägt sei und zu Ergebnissen führe, die sich am Gemeinwohl orientieren. Einzig die These, dass sich die Teilnahme am gelosten Bürgerrat positiv auf die generelle politische Beteiligungsbereitschaft auswirke, konnte durch die Evaluation nicht direkt bestätigt werden. Allerdings ermögliche der Bürgerrat Selbstwirksamkeitserfahrungen und stärke die Überzeugung der Teilnehmenden, politisch etwas bewirken zu können. Er leiste so mindestens indirekt einen Beitrag zu einer konstruktiven Beteiligungskultur.
Ein besonderer Moment war, als zwei Teilnehmende des Bürgerrats in Brandis die Bühne betraten, um über ihre Erfahrungen zu sprechen. Robert Teich aus Brandis sah in dem Bürgerrat eine wertvolle Erfahrung und wünschte sich: "Die Politik sollte sich auch weiterhin bemühen, den Bürger im Blickkontakt zu halten." Sogar den weiten Weg aus Tengen hatte eine Bürgerrats-Teilnehmerin auf sich genommen, um dabei zu sein, und wurde am Folgemorgen noch von der SPD-Abgeordneten aus dem Wahlkreis Konstanz, Lina Seitzl, im Bundestag für eine Führung mit Kuppelbesuch begrüßt.
In der Podiumsdiskussion blickten Rita Schwarzelühr-Sutter, Paulina Fröhlich, Marian Schreier, Arno Jesse und Ilan Siebert auf die bestehenden Potenziale und Herausforderungen für Bürger:innenbeteiligung. Die beiden Bürgermeister lobten in diesem Zusammenhang die Besonderheit des Förderprogramms der Regionalen Open Government Labore, dessen Experimentiercharakter dem Projektteam in der kokreativen Konzeption des Beteiligungsprozesses viel Flexibilität ermöglicht hat. Dadurch konnten Lernerfahrungen aus dem Prozess direkt in die weitere Ausgestaltung des Projekts einfließen. Paulina Fröhlich hob hervor, dass bei der Frage nach Beteiligung stets die Bürger:innennähe im Fokus stehen müsse und Einbindung und Befähigung nur durch echte Wertschätzung ihre Wirkung entfalten könnten. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter sah das Potenzial, dass zufallsbasierte Beteiligung in Zukunft eine noch wichtigere Rolle in der Beratung politischer Vertreter*innen einnehmen kann, betonte jedoch, dass eine Breitenförderung dieser Verfahren im förderalen System über Pilotprojekte hinaus auch auf Länder- und kommunale Ebene angesiedelt werden müsse.
Abgerundet wurde der Abend durch ein Abschlusswort von Kira Messing als Vertreterin der Open Government Labore, die das Projekt als ein gelungenes Beispiel für das Ziel der Öffnung von Politik und Verwaltung gegenüber Interessen der Bürgerschaft in den größeren Förderrahmen einordnete. Bei Snacks und Getränken im Anschluss gab es viele weitere anregende Gespräche zu der Frage, wie sich der Wunsch verwirklichen lässt, den Marian Schreier mit Blick auf das gelungene Projekt abschließend formuliert hatte: “Ich glaube es ist eine Aufgabe für wirklich alle politischen Ebenen darüber nachzudenken, wie wir das hinbekommen, dass wir künftig eben nicht nur einzelne Leuchttürme haben, sondern ganze Lichterketten.”