Recap Session 7: Extremismus und Beteiligung
Extremismus und Beteiligung
In der siebten Session unserer Veranstaltungsreihe “Denkraum Demokratie – Wie weiter mit geloster Beteiligung?” ging es um das Thema Extremismus und Beteiligung: Inwieweit wollen wir extremistische Positionen in gelosten Formaten vertreten wissen? (Wie) Ist das überhaupt möglich? Und wenn sie da sind, wie sieht ein guter Umgang damit aus?
Begriffe
Der Begriff Extremismus bezeichnet, so lautet die Definition des BMI, “Bestrebungen, die den demokratischen Verfassungsstaat und seine fundamentalen Werte, seine Normen und Regeln ablehnen [...]. Extremisten wollen die freiheitlich demokratische Grundordnung abschaffen und sie durch eine ihren jeweiligen Vorstellungen entsprechende Ordnung ersetzen. Häufig heißen sie Gewalt als ein geeignetes Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele gut, propagieren dieses oder setzen sie sogar ein. Terrorismus ist die aggressivste und militanteste Form des Extremismus.”
In Abgrenzung zu Extremismus bezeichnet Radikalismus Positionen, die zwar die demokratische Grundordnung stark kritisieren, sie aber nicht abschaffen wollen. Auch sogenannte Verschwörungstheorien sind in den vergangenen Jahren ein prominentes Thema des öffentlichen Diskurses. Sie bezeichnen eine nicht bewiesene oder weitgehend spekulative Erklärung, die behauptet, dass eine geheime Gruppe von Menschen oder Organisationen im Verborgenen agiert, um bestimmte Ereignisse, Zustände oder Trends zu kontrollieren oder zu manipulieren. Diese Ideologien beinhalten oft die Vorstellung von absichtlicher Täuschung oder Vertuschung seitens der vermeintlichen Verschwörer:innen, um ihre Ziele zu erreichen.
Was ist passiert?
Ausgehend von dieser Definition starteten wir mit einer kleinen Runde zur Frage, ob und wenn ja welche Erfahrungen mit Extremismus in Beteiligung bereits gemacht wurden. Unter anderem wurde auf das Buch von Julia Ebner “Massenradikalisierung” für eine Differenzierung von Extremismus, Radikalismus, ihren Motiven und Ausformungen hingewiesen.
In Kleingruppen arbeiteten wir dann zu drei Themenfeldern:
Extremismus und …
… Teilnehmende,
… Prozessgestaltung
… inhaltliche Positionierung der Moderation
1. Extremismus und Teilnehmende. (Wie) Sollten wir diejenigen, die demokratiefeindliche Einstellungen vertreten, einbinden?
Hier herrschte Konsens: Prinzipiell ja! Dafür gibt es gute Gründe: In den seltensten Fällen kennt man die politische Einstellung der Teilnehmenden im Vorhinein. Und selbst wenn, gibt es keine Grundlage, auf Basis derer der Ausschluss von Menschen gerechtfertigt werden kann. Hier ist der Unterschied zwischen Haltung/Verhalten und Mensch an sich zentral. Pauschal auszuschließen, bedeutet so, von einer Handlung oder Haltung zu einem bestimmten Thema auf das Wesen einer Person zu schließen und sie für “nicht würdig, teilzunehmen” zu erklären. Dies steht im Unterschied dazu, dass bestimmte Haltungen, Äußerungen und bestimmtes Verhalten nicht akzeptiert und daher sanktioniert werden.
Ein weiteres wichtiges Argument ist, dass das Gefühl, nicht gehört zu werden, Nährboden für Radikalisierung und Extremisierung sein kann. Wenn man Radikalisierung als Spektrum und langjährigen Prozess der Abkapselung versteht, könnte eine positive Beteiligungserfahrung in diesem Prozess einen positiven Einfluss haben.
Hierfür spricht auch, dass gerade stark radikalisierte Menschen eher selten an Beteiligungsformaten teilnehmen, Menschen, die verunsichert sind, und im Begriff sind, sich abzuwenden, schon eher. Genau hier setzt aber auch ein Argument gegen die Beteiligung extremistischer Positionen an: Es besteht die Gefahr, diesen Stimmen eine Bühne zu geben, insbesondere in Kleingruppen. Dadurch können vor allem verunsicherte oder sich politisch entfernende Personen in diese Richtung beeinflusst werden. Entgegnet wurde hier, dass die Teilnehmenden nicht unterschätzt werden dürften. Schließlich ist es gerade das Ziel in Bürger:innenräten, dass unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen können und sich auch aushalten lernen. Anders als bei offenen Beteiligungsformaten, Volksentscheiden oder auch Laienrichtern ist die Möglichkeit der Einflussnahme durch radikale Kräfte in Bürger:innenräten aufgrund der professionellen Moderation deutlich geringer.
Deshalb ist die Verbreitung dieser Formate auf den unterschiedlichen politischen Ebenen so wichtig. Dennoch wurde die Befürchtung geäußert, dass die Zerstörungsgeschwindigkeit der Demokratie höher sei als die Heilungsgeschwindigkeit durch geloste Formate.
Unsicherheit herrschte darüber, wie mit der AfD als Mit-Organisatorin von Bürger:innenräten umgegangen werden sollte. Die Einbeziehung könnte das Format gefährden, während der Ausschluss der Opferinszenierung der AfD dienen könnte.
Eine offene Frage der ersten Gruppe war, ob es Studien zu Auswirkungen von Beteiligungserfahrungen oder dem Austausch mit unbekannten Menschen auf Radikalisierung gibt. Wer etwas weiß kennt, kann das gern per Mail an team@esgehtlos.org schicken, wir teilen es dann hier.
2. Extremismus und Prozess: (Wie) Kann auf Extremismus im Prozess reagiert werden?
Kontrovers diskutiert wurde , inwiefern Gesprächsleitfäden am Anfang des Bürger:innenrats von allen gemeinsam festgelegt werden sollten. (Ob diese Gesprächsregeln, -vereinbarung oder -kultur genannt werden, kommt auf die Konnotation an, die man ihnen geben möchte. Gesprächskultur klingt weniger bindend, während Vereinbarung auf eine gemeinsame Erarbeitung hinweist und Regeln auf etwas, das vorgegeben wird.)
Eine geteilte Gesprächskultur wurde als prinzipiell sinnvoll angesehen, gleichzeitig sollte dafür nicht zu viel Zeit eingeplant werden, da diese sonst für das eigentliche Thema des Bürger:innenrats fehlt. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, die Gesprächsvereinbarung zu präsentieren und alle zustimmen zu lassen. Wenn es dann Störungen gibt, kann sich die Moderation darauf berufen. Eine andere Möglichkeit ist, die Gesprächsregeln sichtbar auszuhängen und erst bei einer Störung überhaupt anzusprechen.
Weil radikale Positionen oft nur im Kleinen und selten im Plenum geteilt werden, sollten Kleingruppen mit mindestens 5-6 Teilnehmenden besetzt sein, um eine Vereinnahmung zu verhindern. Außerdem ist professionelle Moderation unabdingbar. Deutlich wurde: Auch wenn radikale oder extremistische Aussagen getroffen werden, müssen wir damit umgehen lernen. Denn das spiegelt die gesellschaftliche Realität wider. Und gerade in moderierten Formaten lässt sich dies konstruktiv durch das offene An- und Besprechen in der Gruppe bearbeiten.
Auch hier ist wichtig, den Unterschied zwischen Störungen durch radikale Aussagen und einer starken Präsenz mit fester Meinung zu ziehen. Während ersterem durch Gesprächsleitfäden begegnet werden kann, ist zweiteres durch gezielte Moderationstechniken auffangbar. Neben inhaltlichen Störungen kann es auch Störungen geben, die sich gegen den Prozess richten und ihn im schlimmsten Fall für mehrere Teilnehmende unkonstruktiv machen. Auch hier hilft, diese ablehnende Haltung zu thematisieren, die Freiwilligkeit der Präsenz zu stärken und erneut auf den Gesprächsleitfaden als Teilnahmebedingung hinzuweisen.
3. Extremismus und inhaltliche Positionierung der Moderation: (Wie) Sollte die Moderation bei Störungen inhaltlich in den Prozess eingreifen?
Die größte Herausforderung ist, abzuwägen, bis zu welchem Grad sich radikale Positionen einbinden lassen oder wo eine Grenze gezogen werden muss, auf die mitunter ein Ausschluss von der Veranstaltung folgen kann.
Klar ist, es braucht geschulte Moderator:innen, die die Einhaltung der Rahmenbedingungen sicherstellen und einen Raum schaffen, in dem sich alle wohlfühlen. Dafür sollte die Moderation in der Lage sein, klare Grenzen zu ziehen und dies nicht nur den anderen Teilnehmenden überlassen, da diese durchaus auch eine große Akzeptanz für eine vorgetragene z.B. rassistische Meinung haben können.
Als Faustregel gilt: Die Moderation sollte Störungen, wenn sie sie spürt, thematisieren. Dazu gehört z.B. auch, den Unterschied zwischen Positionen, die bei einer einzelnen Person aufgekommen sind, und Positionen, die mehrheitsfähig sind, deutlich zu verbalisieren.
Eine große Debatte war, ob die Moderation auch in Bezug auf das Thema des Bürger:innenrats inhaltlich so weit gebildet sein muss, dass sie bei verschwörungstheoretischen oder rechten Argumentationslinien eingreifen kann, und welche Auswirkungen das auf den Prozess hat.
Denn gerade eloquent vorgetragene “Fakten” können viel Raum einnehmen und zu Verunsicherung führen. Eine nicht inhaltlich geschulte Moderation kann diesen Effekt begünstigen. Gleichzeitig ist es Aufgabe der Moderation maßgeblich, die Grenzen des Prozesses zu setzen und allparteilich zu navigieren. Dieser Balance-Akt ist schwierig, wenn eine inhaltliche Positionierung, z.B. gegen Unwahrheiten, notwendig wird.
Eine andere Lösung wäre daher, dass die Moderation sich auf den Prozess und seine Rahmenbedingungen konzentriert und die Diskussion auch immer wieder auf das Ziel zurück orientiert. Zusätzlich wäre ein:e Expert:in vor Ort, die sich mit bestehenden Positionen rund um das Thema der Veranstaltung auskennt. Diese:r kann bei Unsicherheiten hinzugezogen werden, insbesondere auch, wenn extremistische Positionen oder Unwahrheiten aufkommen.
Weiterführende Gedanken
Dieses Thema sollte beim Entwickeln jedes Formats immer mitgedacht werden. Einerseits gibt es, wie oben beschrieben, keine Grundlage, auf Basis derer jemand von vornherein aus einem Prozess ausgeschlossen werden kann. Gleichzeitig bedarf es einer genauen Analyse der Kapazitäten und Ressourcen in den jeweiligen Formaten, um zu wissen, was aufgefangen werden kann und was nicht.
Was nehmen wir mit?
Extremismus und Radikalismus existieren genauso wie Verschwörungsideologien in unserer Gesellschaft. Das Gute am Zufall ist, dass wir auch Menschen, die diese glauben, ab und an einzeln in einem dieser Formate am Tisch haben. Das ist im schönsten Fall eine Chance für eine demokratische Annäherung. Im schlimmsten Fall vereinnahmt jemand in einer Kleingruppe den Raum. Wir Prozessdesignende und -begleitende sollten jedoch auch nicht vor Angst erstarren. Die meisten Menschen erleben geloste Formate als extrem wertschätzend und produktiv. Und auch diese haben Wissen und Meinungen, mit denen sie demokratiefeindliche Positionen kontern können. Die Moderation hat einige Werkzeuge in der Hand und im besten Fall sind begleitende Expert:innen dabei, die Falschinformationen entlarven und richtigstellen können.