Session 4: Wir machen das Thema zum Thema

Worum geht es genau?

Welches Thema eignet sich für die Behandlung in einem Bürger:innenrat auf welcher politischen Ebene? Was macht eine gute Fragestellung aus?

Zum Einstieg und der Eröffnung einer Reflexion haben wir die Teilnehmenden gefragt, zu welchem Thema sie sich einen Bürgerrat wünschen würden:

Zugänge zur Themenwahl

In einem kurzen Input wurden zwei Zugänge zur Themenwahl einander gegenübergestellt:

1. Ein politisches Problem bildet den Ausgangspunkt und Bürger:innen sollen zur Überwindung festgefahrener Diskussionen beitragen. So zum Beispiel zum Thema gleichgeschlechtliche Ehe in Irland.

2. Das Format ist der Ausgangspunkt, die Förderung von verständigungsorientiertem Austausch der Anspruch, entsprechend werden geeignete Themen gesucht. Dies entspricht dem Ansatz von Es geht LOS. Die Eignung eines Themas ist entsprechend abhängig vom Ziel des Formats: Einige wollen die Entscheidungskompetenz von Bürger:innenräten gestärkt wissen und halten demnach besonders Themen, bei denen ein klarer Entscheidungsspielraum und eine hohe gesellschaftliche Relevanz bestehen, für geeignet. Andere betonen die Funktion von Bürger:innenräten als gesellschaftlichem Informations- und Reflexionsraum und betrachten die Verabschiedung von Empfehlungen als nachgeordnet. Entsprechend sprechen sie sich für Themen aus, bei denen gesellschaftlicher Informations- und Auseinandersetzungsbedarf besteht, beispielsweise moralisch-ethische Fragestellungen.

Folgende Kriterien sind bei der Themenwahl grundsätzlich abzuwägen:

  • Lebensweltlicher Bezug/Greifbarkeit des Themas für die Teilnehmenden
  • Gesellschaftliche Relevanz: Die Relevanz eines Themas wird von verschiedenen Akteur:innen jedoch sehr unterschiedlich eingeschätzt. Daher besteht ein Bedarf, Kriterien für die Auswahl von Themen zu entwickeln, um die begrenzten Ressourcen für Bürger:innen-Beteiligung bestmöglich einzusetzen.
  • Existenz diverser Handlungsoptionen sowie Kontroversität
  • "Beteiligungsspielraum": Zuständigkeit der politischen Ebene, auf der der Bürger:innenrat angesetzt wird, sowie Offenheit der Fragestellung
  • Konkretions-/Abstraktionsgrad, wobei sowohl abstrakte, nicht unmittelbar den Lebensalltag betreffende Themen (beispielsweise die Erbschaftssteuer) als auch sehr konkrete Fragestellungen, z.B. der Regionalplanung (“Wo kommt die Parkbank hin?”), prinzipiell geeignet erscheinen

Folgende Kontextfaktoren sind außerdem zu beachten:

  • Ressourcen: z.B. Länge des Verfahrens, Anzahl der Teilnehmenden, Verfügbarkeit von Expertise
  • Zeitpunkt der Beteiligung im politischen Prozess: Brainstorming vs. Ausarbeitung detaillierter Empfehlungen
  • Politische Ebene

Welche Themen eignen sich auf welcher politischen Ebene?

In Kleingruppen wurden Vorschläge und Kriterien für geeignete Themen auf unterschiedlichen politischen Ebenen gesammelt:

1. Kommunale Ebene

Hier wurde aus dem aktuellen Prozess der Themensammlung für den neu eingerichteten ständigen Bürgerrat in Aachen berichtet. Folgende Kriterien für die Auswahl wurden vorgeschlagen (mit abnehmender Wichtigkeit):

  • Das Thema liegt in der Zuständigkeit der Kommune.
  • Das Thema wird von einem Quorum weiterer Bürger:innen unterstützt.
  • Das Thema ist mittelfristig behandelbar (im Zeitraum von 1-5 Jahren).
  • Die Auswirkungen des Themas betreffen einen ausreichend großen Teil der Stadtgesellschaft.
  • Es gab nicht kürzlich eine politische Entscheidung zu dem Thema.
  • Es gibt mehrere komplexe, aber konkrete Lösungen zu dem Thema.
  • Das Thema ist umstritten, verschiedene Interessen können berücksichtigt werden.
  • Das Thema ist vom Umfang her in 3-5 Sitzungen bearbeitbar.
  • Darüber hinaus könnten existierende Kriterien für Themen für Bürgerentscheide eine Orientierung für die Themenwahl bieten.

2. Landesebene

  • Sowohl eine Betroffenenbeteiligung bei konkreten Themen wie Standortfragen (Windenergie, Naturschutz) als auch abstrakte Themen wie “Vision für Bayern” wurden als prinzipiell denkbar angesehen.
  • Bildungsfragen sind geeignet. Generell scheint es schwierig, spezifische Länderthemen zu definieren, da bei den Ländern als Schnittstelle zwischen Bund und Kommunen viele Querschnittsthemen angesiedelt sind.
  • Daher könnte eine Kombination von Bürger:innenräten als Vorbereitung von Volksentscheiden (Bsp.: Rettet die Bienen) gerade auf Länderebene gewinnbringend sein. Hier liegen gute Rahmenbedingungen für eine mögliche Institutionalisierung vor. Ein Bürgergutachten auf Landesebene könnte auch durch den Bundesrat an die Bundesebene weitergegeben werden.

3. Bundesebene

  • Menschen bundesweit sind von dem Thema und den Auswirkungen einer Entscheidung betroffen. Gut geeignet wären Themen, wo es gilt, regionale Eigenheiten zusammenzubringen.
  • Die Zuständigkeit liegt auf Bundesebene. Gleichzeitig kann gerade auch bei Themen, die nicht auf Bundesebene angesiedelt sind, wo die Fragmentierung durch den Föderalismus aber problematisch ist, eine Diskussion auf Bundesebene sinnvoll sein. Hier könnte ein Bürger:innenrat ein guter Ausgangspunkt sein, um die Dringlichkeit einer bundesweiten Auseinandersetzung hervorzuheben.
  • Als konkrete geeignete Themen wurden die Verteilung von Geflüchteten, die Energieversorgung/-wende, Katastrophenschutz, der Umgang der Sicherheitsbehörden mit Gefährder:innen, eine Begleitung von Verfassungsänderungen sowie die Vorbereitung supranationaler Entscheidungen genannt.

4. Supranationale Ebene

  • Supranationale Zuständigkeit: Keine Entscheidung über regionale Probleme.
  • Der Aspekt des Austausches mit anderen Perspektiven und der Entwicklung gegenseitigen Verständnisses sollte auf dieser Ebene besonders im Vordergrund stehen.
  • Themen könnten daher auch grundlegender Natur sein, wie zum Beispiel Diskussionen über Werte/Kriterien für Entscheidungen. Das könnte beispielsweise die konkrete Auseinandersetzung damit sein, welche Prinzipien für die globale Verteilung der Kosten von Klimaschutz-Maßnahmen als gerecht empfunden werden oder wie gerechte Handelsbeziehungen aussehen könnten.
  • Als Beispiele für Themen wurden die Flüchtlingspolitik der EU (Entwicklung von Verständnis für die Meinungen in anderen Ländern, Betroffene können zu Wort kommen) und Klimawandel und dessen Folgen genannt. Gleichzeitig könnten gerade Themen wie die Flüchtlingspolitik, bei denen es eine starke Radikalisierung gibt, schwierig zu behandeln sein. Auch könnte hier das Risiko bestehen, dass ein Bürger:innenrat nicht zulässige Grundrechtseinschränkungen empfiehlt.

Weiterführende Gedanken

  • Die richtige Fragestellung: Die Herausforderung besteht in der Formulierung einer präzisen Fragestellung und damit eines klaren Arbeitsauftrages. Oftmals sind Themen noch sehr breit und vage formuliert.
  • Thematische Einschränkungen? Während einige der Ansicht waren, ein Bürger:innenrat könne prinzipiell jedes Thema behandeln, da wir als Bürger:innen überall mitreden können sollten, argumentierten andere, dass bestimmte Themen wie die Haushaltsplanung nicht Gegenstand eines Bürgerrates sein sollten.
  • Ebenenübergreifend könnte eine bottom-up-Themenwahl durch Bürger:innen selbst anstelle einer top-down-Bestimmung durch diejenigen, die Bürger:innenräte einsetzen oder etablieren, fruchtbar sein. Beispiele für bottom-up Themensuche: Hallo Bundestag / Baden-Württemberg / Bürger:innenrat Aachen
  • Vorgeschlagen wurde auch die Einrichtung grenzüberschreitender Bürger:innenräte mit Menschen aus unterschiedlichen (Bundes-)Ländern, um beispielsweise Infrastrukturthemen zu behandeln.
  • Eine längere Diskussion zu Bürger:innenräten auf der supranationalen Ebene verwies neben Bedenken in Bezug auf praktische Herausforderungen (Sprachen, Anreise, Zeitzonen) und die (abseits von der EU) offene Frage nach der Adressatin/zuständigen Institution) zurück auf die Session #2 zu Repräsentativität und Diversität: Muss ein supranationaler Bürger:innenrat zwangsläufig sehr groß sein, da wenige Personen nicht ein ganzes Land vertreten können bzw. um der Vielfalt der Meinungen gerecht zu werden? Andererseits treffen wir im Bürger:innenrat eben nicht als Vertreter:innen aufeinander, sondern als Menschen. Vielfalt und Diversität lassen sich auch mit einer kleineren Gruppe erreichen. Das Ideal der Repräsentativität und die daraus entstehende Legitimität scheint daher weniger für die Qualität der Diskussion als vielmehr für die Außenwirkung entscheidend.
  • Eine These, die mehr Auseinandersetzung erfordert, war: Je höher die Ebene, desto abstrakter das Thema (Verhandlung von Werten/Prinzipien auf supranationaler Ebene mit dem Ziel grundlegender Verständigung vs. Standortbestimmungen auf lokaler Ebene als Pole des Spektrums).

Was nehmen wir mit?

Die Auswahl eines geeigneten Themas ist abhängig von der Zielsetzung, die mit dem Format Bürger:innenrat verbunden wird. Auch sonst hängt die Eignung von Kontextfaktoren wie verfügbaren Entscheidungsspielräumen und Ressourcen ab. Weitere Beschäftigung verdient die Frage nach möglichen thematischen Beschränkungen für Bürger:innenräte (Haushaltsentscheidungen?). Spannend wäre es, durch neuartige und ebenübergreifende Formate wie die Kopplung mit Volksentscheiden, grenzübergreifende Bürger:innenräte oder gestaffelte Bürger:innenräte (z.B. Vorbereitung supranationaler Entscheidungen durch nationale Bürger:innenräte einerseits, Verhandlung regionaler Eigenheiten und föderal organisierter Themen auf Bundesebene andererseits) auch das Themenspektrum zu erweitern, sowie die Möglichkeiten der bottom-up-Themensetzung zu stärken.

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